Auf neuen Luftfahrtkarten der Isle of Wight sind zwei Flugplätze eingezeichnet, aber das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da gab es 12 Flugplätze – oder besser „landing strips“ – auf der Insel.
Das hat mit der Insellage und der Entwicklung des Tourismus zu tun und diese Entwicklungen haben noch weitere sehr britische Verkehrsmittel auf die Insel gebracht. Der Tourismus blühte auf der Isle of Wight im Viktorianischen Zeitalter richtig auf. Das Haus, in dem ich hier übernachte, stammt aus dieser Zeit. Und wenn man schreibend oder lesend im Erker sitzt, das Fenster ein wenig auf hat, dann hört man die Vögel zwitschern, blickt über grüne Gärten in die Ferne und atmet die angenehme, saubere und frische Seeluft, die vom Meer her herangeweht wird. Und nachts ist es absolut still. Da wundert es nicht, dass die Großstädter dem Smog und dem Schmutz des lärmenden Londons zu entkommen suchten, und auf die Isle of Wight reisten. Selbst Königin Viktoria hatte hier ein Ferienhaus – oder wie das bei den Royals heisst. An den Stränden entstanden wunderbare Hotels.
Erschlossen wurde die Insel mit Fährverbindungen, mehreren Eisenbahnlinien und nach dem Ersten Weltkrieg mit Flugplätzen. Viele davon nicht mehr als einfache Graslandebahnen. Die wichtigsten Plätze waren Sandown, Bembridge und der Ryde Airport, der von einer neuen Fluggesellschaft vor den Toren von Ryde, im Norden der Insel errichtet wurde. Der damalige Bürgermeister von Ryde, ein progressiver Mann, förderte das Projekt ebenso, wie er den Bau eines koresspondierenden Airport auf der anderen Seite des Solent unterstützte. In diesem Fall war das der in der gleichen Zeit entstandene Flugplatz von Bornemouth.
Es war in England nicht ungewöhnlich, das Flugplätze in „Pärchen“ gebaut wurde, die wirtschaftlich voneinander abhingen. So wurde das auch mit dem Airport Lands End und dem Flugplatz auf den Scilly Islands gemacht. Ebenso ist es heute noch in England und in Irland verbreitet, dass Airlines gleichzeitig Flugplatzbesitzer oder zumindest -betreiber sind. So werden zum Beispiel alle drei Flugplätze auf den irischen Aaran Islands und der zugehörige Flugplatz „an Land“ von einer Airline betrieben.
Boomte der Tourismus auf der Isle of Wight noch in den 1920er und 1930er Jahren, so war das Fest mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs schlagartig vorbei. Die Kriegszeit ist hier in den Leuten – ohne Groll auf uns heutige Deutsche – immer und überall präsent. Es gibt keinen Buch- oder Souvenierladen ohne nicht mindestens ein prominent präsentiertes Buch über diese Zeit.
Sämtliche Landebahnen auf der Isle of Wight wurden im Krieg zerstört – und zwar von den Engländern selbst, die in jahrelanger Angst vor einer deutschen Invasion lebten. Quer durch die Landebahnen wurden Gräben gezogen und Drahtverhaue errichtet, um Luftlandeoperationen zu erschweren. Im Tower von Ryde wurde ein Melder postiert, der vor anfliegenden Flugzeugen warnen sollte und der nachts die Verdunkelung überwachte.
Die Deutsche Luftwaffe ließ die Insel nicht in Ruhe, Bomber zerstörten die prachtvollen Spas und Hotels am Strand und bombardierten alles, was sich bewegte. Als die Vorbereitungen zur Invasion der Alliierten anliefen, konnten sich die Einwohner der Badestädte revanchieren. Auf einmal war die Isle of Wight kriegswichtig, denn sie sollte als Terminal für das Projekt PLUTO dienen, für die „Pipeline Under The Ocean“. PLUTO sollte unmittelbar nach der Inversion die gelandeten Truppen mit Treibstoff versorgen. Dafür wurden zwei große Pumpstationen in aller Stille errichtet. Eine hier in Shanklin in den Trümmern der Strandhotels. Gebaut wurde nachts und jeden Morgen sah alles aus wie vorher, das Dach der Baustelle wurde immer wieder mit den selben Trümmern dekoriert: Zerbrochene Badewannen und Kloschüsseln, zerstörtes Inventar, etc. Sogar die Reifenspuren der LKWs wurden immer sofort weggekehrt.
Die andere Pumpstation wurde – wenn ich mich richtig erinnere – in einem alten Fort bei Bembridge eingerichtet. Im Anflug auf Sandown habe ich dieses Fort aus der Luft fotografiert, leider ist es zur Zeit nur für Gruppen zugängig, so dass ich es nicht besuchen konnte. Gleich nach Beginn der allierten Invasion wurden in kürzester Zeit vier Pipelines von der Isle of Wight nach Cherbourg gelegt, die die Truppen mit mehr Sprit versorgten.
Die Flugplätze auf der Isle of Wight waren nach dem Krieg einfach weg, und es gelang nicht, wieder einen kommerziellen Flugverkehr aufzubauen. Am Ende blieben nur Bembridge und Sandown übrig.
Bembridge war der Stammsitz des Flugzeugherstellers Britten-Norman gewesen. Dort werden aber heute nur noch Flugzeugteile hergestellt. Die Landebahn ist verweist und wird nur noch von einem Verein am Wochenende genutzt. Es gibt keinen Sprit mehr am Platz. Unter der Woche fliegen nur vereinzelt Maschinen dorthin und sprechen ihre Absichten über Funk ab. Ich habe mit denen gesprochen, als im Anflug auf Sandown in 2000 Fuß düber geflogen bin, um die Landebahn zu fotografieren.
Bleibt Sandown, der Phoenix aus der Asche. Denn erst sah es so aus, als würde der Flugplatz ausgelöscht: 2006 brannte ein Hangar aus, im Jahr darauf das Restaurant mit dem neuen Clubhaus. In Folge gingen die Landungen zurück und Flugplatz wurde an einen Investor verkauft, der einen Campingplatz daraus machen wollte. Zum Glück hat er nicht die erforderlichen Genehmigungen erhalten.
Und so konnten 2013 zwei Luftfahrtenthusiasten den Flugplatz kaufen. Seitdem geht es bergauf, die Landegebühren wurden deutlich gesenkt und eine Tankstelle für Avgas 100LL gebaut. Es gibt ein Restaurant mit Terrasse, Toiletten und Duschen sowie spezielle Abstellplätze im Gras, für Leute, die neben ihrem Flieger ihr Zelt aufbauen wollen. Ich finde, der Isle of Wight – Sandown Airport ist mit seiner 880 Meter langen, gepflegten Grasbahn und dem ungemein fliegerfreundlichem Charm einer der schönsten Flugplätze für die allgemeine Luftfahrt an der Südküste Englands. Zumal, weil man nach Sandown und nach Shanklin – und damit ans Meer – einfach zu Fuß laufen kann.
Neben dem Flugplatzsterben – zum Glück inzwischen gestoppt – setzte Ende der 1960er Jahren das große Eisenbahnsterben auf der Insel ein. Wagen und Dampfloks stammten noch aus der Zeit des Ersten Weltkrieges und für Ersatz war kein Geld da. Zum Glück fanden die Engländer eine irre Lösung: Etwa zur selben Zeit wurde in London ein U-Bahn Erneuerungsprogramm aufgelegt. Viele der U-Bahnwagen stammten noch aus der Zeit um 1938. Und so kam es, das heute auf Englands kürzester Bahnstrecke zwischen hier in Shanklin und dem Pier für die Fähre in Ryde klapprige, mit Holz ausgekleidete U-Bahnwagen aus London fahren. Nur nicht mehr in dunklen Schächten, sondern durch eine großartige, grüne Landschaft. Die Bahn fährt übrigens direkt auf das Pier hinaus, weit in das Wattenmeer hinein, wo die konventionellen Fähren anlegen können.
Steigt man eine Station früher aus der Eisenbahn aus, kann man direkt mit Anschlussticket mit Englands modernsten Hoovercrafts in nur 10 Minuten nach Portsmouth fahren. Und genau das habe ich heute gemacht…